LG Hamburg – Az.: 323 O 62/13 – Urteil vom 02.10.2014
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 20.000,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit dem 22.12.2012 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle gegenwärtigen und künftigen materiellen sowie derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf der Fehlrotation der am 28. Mai 2008 in der Klinik der Beklagten eingebrachten Kniegelenktotalendoprothese rechts beruhen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 1.493,21 an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.12.2012 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Trägerin der Endo-Klinik H. auf Zahlung eines Schmerzensgeldes, Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten und Feststellung der Haftung der Beklagten im Zusammenhang mit einer Revisionsoperation ihres rechten Kniegelenkes vom 28.05.2008 in Anspruch.
Die Klägerin litt spätestens seit Oktober 2006 unter Schmerzen in beiden Kniegelenken. Am 15.01.2007 (Operationsbericht, Anlage K1) wurde durch die Vorbehandler Dres. W. und Z. im rechten Kniegelenk eine Kniegelenksprothese eingebracht. Die Klägerin führte eine stationäre Rehabilitationsbehandlung vom 01.02.-22.02.2007 durch, in deren Ergebnis eine Beschwerdebesserung bei fortbestehenden Ruhe- und Belastungsschmerzen am rechten Kniegelenk und die Verwendung zweier Unterarmgehstützen durch die Klägerin dokumentiert wurden (Behandlungsbericht vom 23.02.2007, Anlage K2).
Wegen erneut auftretender Schmerzen stellte die Klägerin sich am 24.04.2008 ambulant in der Klinik der Beklagten vor. Dort wurden eine Revisionsoperation und der Wechsel auf eine schaftgeführte teilgekoppelte Knie-TEP empfohlen. Schon in diesem Ambulanztermin erklärte die Klägerin sich mit dem Eingriff einverstanden, nachdem sie ausführlich über die Chancen und Risiken einer solchen Operation und über bleibende Restbeschwerden und Bewegungseinschränkungen aufgeklärt worden war. Zum Inhalt des Gespräches im Hause der Beklagten am 24.04.2008 verhält sich der an die Hausärztin der Klägerin gerichtete Arztbrief der Beklagten vom 02.05.2008 (Anlage K3). Am 27.05.2008 wurde die Klägerin stationär in die Klinik der Beklagten aufgenommen, und es fand ein weiteres ärztliches Aufklärungsgespräch statt.
Am 28.05.2008 erfolgte die Operation am rechten Kniegelenk durch den Zeugen H. als Operateur, wegen der Einzelheiten wird auf den Operationsbericht in Anlage K4 verwiesen. Dabei nahm der Operateur eine bewusste Überkorrektur der Außenrotation vor, um einen besseren Verlauf der Patellasehne zu gewährleisten. Nach der Operation äußerte die Klägerin, sie habe eine Außendrehstellung des rechten Fußes bemerkt. Die Klägerin wurde am 09.06.2008 zur Rehabilitationsbehandlung verlegt und stellte sich zu mehreren Kontrolluntersuchungen in der Klinik der Beklagten vor. Eine erneute Revisionsoperation erfolgte nicht.
Die Klägerin führte zunächst wegen der Voroperation vom 15.01.2007 (Operationsbericht, Anlage K1) vor dem Landgericht D. zum Az.: … einen Arzthaftungsprozess gegen die Vorbehandler Dres. W. und Z.. Eine Streitverkündung erfolgte nicht an die hiesige Beklagte, sondern eine von der Beklagten verschiedene H. Kliniken GmbH, … (Anlage K 7). Mit Schreiben vom 23.11.2012 forderten die Klägervertreter die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von € 20.000,00 und Erklärung eines „Zukunftsschadensvorbehaltes“ unter Fristsetzung bis 21.12.2012 auf (Anlage K 9).
Die Klägerin wirft der Beklagten vor, die Revisionsoperation vom 28.05.2008 sei fehlerhaft durchgeführt worden. Die Kniegelenksprothese sei in einer nicht standardgemäßen Rotationsstellung eingebracht worden. Auf Grund der Fehlrotation der Prothese leide sie unter erheblichen Schmerzen, müsse stärkste Schmerzmittel einnehmen und ihre Gehstrecke sei auf wenige Meter bzw. eine Gehzeit von maximal 10 Minuten reduziert.
Die Klägerin meint, aufgrund der über einen Zeitraum von vier Jahren bestehenden stärksten Knieschmerzen sei ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens € 20.000,– angemessen. Darüber hinaus begehrt sie die Feststellung der Haftung der Beklagten, weil die Fehlbelastung und Fehlstellung des rechten Beines zu einer Fehlbelastung des linken Beines, der Hüften und zu Spätfolgen führen könne. Ferner begehrt sie unter Verweis auf ihre vorprozessuale Zahlungsaufforderung vom 23.11.2012 (Anlage K 9) Zinsen und die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten gemäß Berechnung auf Seite 19 der Klageschrift (Bl. 19 d.A.).
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichtes gestelltes Schmerzensgeld nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2012 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle gegenwärtigen und künftigen materiellen sowie nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der Behandlung vom 27.05.2008 bis 09.06.2008 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind,
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 1.656,48 an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet Behandlungsfehler bei der Einbringung der Knieprothese im Hause der Beklagten am 28.05.2008. Der Eingriff sei standardgerecht durchgeführt worden; dies ergebe sich aus dem Operationsbericht und dem prä- und postoperativen Bildmaterial (Anlage K4). Die postoperative Röntgenbildgebung habe einen regelrechten Sitz des Implantates gezeigt. Die unstreitige Überkorrektur der Rotation sei erforderlich gewesen, um Luxationen der Patellasehne zu vermeiden. Sie habe sich postoperativ sehr positiv ausgewirkt und auch im Rahmen der Röntgenkontrollen bestätigt. Wenn der Operateur eine abstrakt ideale Positionierung der Prothese vorgenommen und die Überkorrektur der Rotation unterlassen hätte, würden bei der Klägerin erhebliche Luxationsrisiken und ein deutlich höherer Leidensdruck entstehen.
Die Beklagte bestreitet zudem Schadensumfang und Kausalität. Sie verweist insofern darauf, dass die Klägerin im Vorprozess (Landgericht D.,… ) behauptete, ihre Beschwerden beruhten auf Versäumnissen im Rahmen der Erstoperation vom Januar 2007, und der vom Landgericht D. beauftragte Sachverständige Prof. Dr. L. auf Seite 8 seines Gutachten ausführte, dass Schmerzen der rechten Oberschenkelaußenseite schon vor der Revisionsoperation in H. vorhanden gewesen seien. Wegen der Einzelheiten des Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Priv. Doz. Dr. F. G. vom 27.11.2013 (Bl. 78 d.A.) und hat diesen zur Erläuterung seines Gutachtens im Termin zur mündlichen Verhandlung angehört. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf das genannte Gutachten und das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus §§ 280 Abs. 1, 249, 253 BGB i. V. m. dem Behandlungsvertrag einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von € 20.000,00 nebst Zinsen und angemessener Rechtsverfolgungskosten. Ebenso ist die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz der aufgrund der unzureichenden ärztlichen Behandlung entstehenden Schäden festzustellen. Hinsichtlich der weitergehend geltend gemachten Forderungen ist die Klage unbegründet.
1.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von € 20.000,00 nebst tenorierter Zinsen.
a)
Die ärztliche Behandlung der Klägerin in der Klinik der Beklagten erweist sich als teilweise nicht dem fachärztlichen Standard entsprechend. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die im Rahmen der Operation vom 28.05.2008 erfolgte Einbringung der Knie-TEP in einer Fehlrotation nicht standardgerecht geplant und durchgeführt worden ist.
Die Planung der Einbringung einer teilgekoppelten Knie-TEP unter bewusster Überkorrektur im Sinne einer verstärkten Außenrotation von mehr als 10 Grad begründet ein schlechterdings nicht mehr nachvollziehbares Planungsversäumnis (Sitzungsprotokoll vom 8. Juli 2014, Seite 2, Bl. 153 d.A.), das die Kammer als groben Behandlungsfehler wertet. Denn die zur Begründung dieser Vorgehensweise von der Beklagten angeführten Vorteile einer Reduzierung der Luxationsrisiken bestehen nicht, die Gefahr der Luxation einer teilgekoppelten Prothese ist gering. Hingegen sind die biomechanischen Nachteile der Fehlpositionierung der gekoppelten Prothese eklatant, weil die Beweglichkeit des Kniegelenks nur in der Achse der Kopplung verläuft, Rotationen nicht oder nur in geringem Umfang möglich sind und daher größere Abweichungen von der Idealposition der TEP nicht mehr kompensierbar sind. Damit folgen absehbar und notwendig die erheblichen biomechanischen Nachteile der Überlastung des Hüft- und Sprunggelenks durch deren Innenrotation. Der Patient kompensiert die Außenrotation des Kniegelenks durch eine verstärkte Innendrehung des Hüft- und des oberen Sprunggelenks und setzt den Fuß beim Gehen nach innen verdreht auf. Die Folgen der Überlastung und vorzeitigen Degeneration der benachbarten Gelenke liegen auf der Hand und geben bei schicksalhafter Entstehung dieser Komplikation regelmäßig Anlass zu Prothesenwechseloperationen. Eine solche Fehlrotation in Kenntnis der Risiken bewusst zu planen, um fernliegenden Luxationsrisiken vorzubeugen, ist schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar.
Auch das von der Beklagten angeführte Ziel, den Lauf der Patella zu verbessern, rechtfertigte eine bewusste Überkorrektur im Rahmen der Außenrotation nicht. Nach der Implantation einer Kniegelenkendoprothese besteht immer eine gewisse Lateralisierungstendenz der Patella. Wenn man aber den femuralen Anteil der Prothese bewusst stärker rotiert und nicht in der anatomischen Idealposition einbringt, wird die Gefahr eines postoperativ gestörten Laufs der Patella sogar noch erhöht. Durch die verstärkte Außenrotation des femuralen Anteils der Kniegelenkprothese ist die durch die Nachformung der Femurkondylen an der Außenseite der Prothese vorhandene Begrenzung bzw. Barriere umso geringer, so dass die Tendenz einer Luxation der Patella entsprechend größer ist. Hätte man also den Lauf der Patella verbessern wollen, so hätte man Veränderungen im dortigen Bereich vornehmen müssen. (Sitzungsprotokoll S. 5, Bl. 156 d.A.).
b)
Die Klägerin hat aufgrund der Fehlplanung der Prothesenposition eine Fehlrotation ihres rechten Kniegelenks von ca. 27 Grad erlitten. Die natürliche Anatomie am linken Kniegelenk der Klägerin weist eine Innenrotation von etwa 15 Grad auf. Das streitgegenständliche rechte Kniegelenk weist hingegen eine Außendrehung von etwa 12 Grad auf, sodass sich eine Abweichung von der natürlichen Anatomie durch Außenrotation um ca. 27 Grad ergibt (Gutachten S. 23, Bl. 101 d.A.).
Die durch die eklatante Fehlpositionierung der Prothese entstandenen Beschwerden der Klägerin umfassen Störungen des Geh- und Abrollvorganges und eine Fehlbelastung des rechten Kniegelenkes, Hüftgelenks und der Fußgelenke. Zur Kompensation der in Außendrehung abweichenden Kniegelenksachse nimmt die Klägerin unbewusst eine verstärkte Innendrehposition des linken Hüftgelenkes ein. Diese Innendrehstellung des Hüftgelenkes kann sich in Gelenkveränderungen des Hüftgelenkes auswirken. Insofern ist nachvollziehbar, dass die Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes deutlich gestört ist und die Klägerin das Gefühl eines fehlenden Haltes im Kniegelenk hat. Auch die von ihr beschriebenen Schmerzen im rechten seitlichen Unterschenkel und eine Beschränkung ihrer Gehstrecke auf 10 Minuten sind nachzuvollziehen.
Diese Beschwerden beruhen kausal auf der Fehlpositionierung der Knie-TEP im rechten Kniegelenk. Sie stehen nicht im Zusammenhang mit der Grunderkrankungen der Klägerin, ihren Verschleißerscheinungen der Hüftgelenke und der Wirbelsäule. Sie beruhen auch nicht auf einer Frühlockerung der am 15.01.2007 eingesetzten Erstprothese im rechten Kniegelenk (S. 13 des Gutachtens Bl. 90 d.A.).
c)
Die Klägerin hat daher zunächst einen Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gemäß § 253 Abs. 2 BGB in Höhe von 20.000,00 €. Dieser Betrag erweist sich unter Berücksichtigung aller Umstände als erforderlich, aber auch ausreichend, um der Klägerin in erster Linie einen Ausgleich für die erlittenen Beeinträchtigungen sowie überdies Genugtuung zu verschaffen. Die Beklagte haftet insofern für die aktuellen Einschränkungen des Gehvorganges, die Fehlbelastung des Kniegelenkes und die Überlastung der benachbarten Gelenke mit nachvollziehbaren Schmerzen und Einschränkungen der Gehstrecke der Klägerin und der Folge der vorzeitigen Degeneration der Gelenke, aber auch für die nach den Ausführungen des Sachverständigen vorhersehbare Folge, dass die Klägerin sich fehlerbedingt künftig einer Revisionsoperation zum Prothesenwechsel unterziehen muss.
d)
Der Zinsanspruch ergibt sich ab dem Folgetag des Ablaufs der vorprozessual gesetzten Zahlungsfrist.
2.
Der Feststellungsantrag ist angesichts der Möglichkeit weiterer materieller und immaterieller Schäden gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig und begründet. Die Feststellung einer Ersatzpflicht für Zukunftsschäden setzt voraus, dass der Eintritt künftiger Schäden jedenfalls möglich erscheint (vgl. BGHZ 116, 60; BGH NJW 2001, 1432). Dass die erforderliche Revisionsoperation des rechten Kniegelenks möglicherweise zu unvorhergesehenen gesundheitlichen Beschwerden oder die Erforderlichkeit weiterer Gelenksrevisionen (Hüfte, Sprunggelenk) eintritt, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden. Den Streitwert des Feststellungsantrages beziffert die Kammer auf € 5.000,00. In diesem Umfang obsiegt die Klägerin gegenüber der Beklagten in voller Höhe.
3.
Die Beklagte hat der Klägerin auch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu erstatten. Ausgehend von einem Obsiegen der Klägerin im Umfang von € 25.000,00 (€ 20.000,00 Schmerzensgeld, € 5.000,00 Feststellung) ergibt sich bei Ansatz einer angemessenen 1,8fachen Geschäftsgebühr in Höhe von € 686,00 x 1,8 = € 1.234,80 zzgl. Kommunikationspauschale von € 20,00 und Umsatzsteuer in Höhe von € 238,41 eine Honorarforderung der Klägervertreter von € 1.493,21.
Auch insofern ergibt sich der Zinsanspruch ab dem Folgetag des Ablaufs der vorprozessual gesetzten Zahlungsfrist.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.